Ilzers enorm komplizierter Drahtseilakt

Hoffenheims angezählter Trainer geht mit angekratzter Autorität und mit einer verunsicherten und uneinigen Mannschaft in das richtungsweisende Abstiegsduell mit Kiel.. Aussprache mit Kramaric ohne Sanktionen. Unterschiedlicher könnten die Voraussetzungen kaum sein, mit denen Hoffenheim und Kiel in das Abstiegsduell gehen, in dem der Aufsteiger mit einem weiteren Heimsieg nach Punkten mit der TSG gleichziehen könnte. Während die Kieler mit einer geschlossenen Teamleistung nach dem 4:2 gegen Dortmund vor Selbstvertrauen strotzen, stehen die nach dem 0:5 in München und Andrej Kramarics Generalkritik in Einzelteile zerlegten Kraichgauern vor einem Scherbenhaufen, den sie notdürftig zu kitten bemüht sind.. Nach den diplomatischen Einlassungen aus der Geschäftsführerebene ist nun vor allem Trainer Christian Ilzer gefordert und zu einem Spagat auf dem Hochseil gezwungen. Der 47-Jährige steht vor einem enorm komplizierten Drahtseilakt. Nach zehn Spielen und zuletzt neun sieglosen und insgesamt 7:21 Toren (!) muss Österreichs Meistertrainer es schaffen, seine offensichtlich zweifelnde Truppe zu einen, zu stärken und zu überzeugen.. Zudem muss Ilzer seine durch Kramaric angekratzte Autorität wahren, ohne dem Team dessen Qualitäten zu nehmen, die die TSG dringend benötigt, um den freien Fall zu stoppen. „Das Spiel in Kiel ist aus zweierlei Gründen absolut richtungsweisend“, ahnt Ilzer, „Weil jeder einzelne und wir als Gruppe auf dem Platz zeigen müssen, was wir können. Und zum andern natürlich auch, um zu zeigen, dass wir alle mit dieser Situation klarkommen.“. Dazu hatte oberste Priorität, den zuletzt öffentlich ausscherenden Star gesichtswahrend wieder einzufangen. „Er ist ein enorm verdienter Spieler, wenn, dann steht es ihm zu, aus der Emotion raus so einen Rundumschlag zu machen“, baute Ilzer sogleich eine Brücke, „wir haben mit Andrej sehr viel gesprochen in den letzten beiden Tagen, wir haben uns ausgesprochen und uns intensiv über diese Thematik ausgetauscht. Es war ein sehr offenes und ehrliches Gespräch. Es ist aber meine Art, solche Dinge intern zu besprechen.“. Ilzer nimmt Kramaric in die Verantwortung. Statt Sanktionen zu verhängen, nahm Ilzer Kramaric in die Verantwortung. „Wir brauchen Führungsspieler wie Andrej in seiner vollen Kraft und Energie. Das ist auch Führungsqualität, sich nicht über die Spieler zu erheben, sondern auf Augenhöhe zu agieren, auch persönliche Kritik zuzulassen, aber auch ganz klar zu sagen, in welche Richtung es geht“, betonte der 47-Jährige nach dem Austausch mit Kramaric, „es ging um das große Ganze, es ging aber auch um das Inhaltliche. Und auch darum, ihn noch effektiver einzubinden in unser Spiel. Man muss auch immer bereit sein, Anpassungen vorzunehmen, auch von meiner Seite, aber so, dass klar ist, ich bin der Trainer und muss für Klarheit sorgen. Wenn du schwammig wirst, ist damit keinem geholfen. Diese Klarheit und trotzdem ein kooperatives Miteinander sind der einzig richtige Weg, um unsere Qualitäten so einsetzen, damit wir Spiele gewinnen. Neun Spiele ohne Erfolgserlebnis, da können Sie sich vorstellen, dass die Situation nicht einfach ist.“. Sie ist sogar hochbrisant. Die sportliche Leitung stärkt Ilzer pflichtgemäß und demonstrativ den Rücken. Doch sollte der erst Mitte November geholte Trainer neben Spielen auch die Kabine und die Mannschaft verlieren, steht das gesamte Projekt auf der Kippe und vor dem Aus, ehe es überhaupt ins Rollen kam. „Wenn die Ergebnisse ausbleiben, ist es normal, dass Spannungen und Energieverluste entstehen. Das aufzufangen ist jetzt unsere große Aufgabe. Nur Erfolgserlebnisse werden es in eine andere Richtung bringen können“, weiß Ilzer, der in Kiel eher vor einem Schlüssel- als einem Endspiel steht.. „Ich muss schauen, in guter Balance zu bleiben“. Sollte die TSG aber auch beim Aufsteiger ähnlich ohnmächtig und überfordert auftreten wie zuletzt beim Rekord- und Herbstmeister, scheint nichts mehr ausgeschlossen. Und bei allen Diskussionen um den Spielstil fordert Ilzer vor allem „eine Körpersprach, die vermittelt, dass wir uns nicht verstecken, dass wir alles geben und uns gegenseitig unterstützen, das ist viel wichtiger als inhaltliche Dinge“.. Es ist die anspruchsvollste Phase für diesen in der Heimat so erfolgsverwöhnten Trainer seit langem, vielleicht seine kniffligste überhaupt. „Ich muss schauen, in guter Balance zu bleiben, Kraft zu haben, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, aber auch zu erkennen, was ich nicht ändern kann“, erläutert Ilzer, „und auch die Gelassenheit zu haben, voranzugehen, ohne Energie zu verlieren. Eine herausfordernde Situation, die braucht man nicht kleinreden. Man darf sich nicht nur an die Trophäen erinnern, ganz prägend sind die Phasen, in denen es schwieriger ist im Leben, in denen man gefordert ist, in seiner persönlichen Stärke zu bleiben.“. Ob das reicht, um das schlingernde TSG-Schiff wieder auf Kurs zu bringen, bleibt abzuwarten. „Es ist wie bei einem Ozeandampfer, will ich den nach rechts lenken, muss ich das Manöver auch eine Stunde vorher beginnen. In diesem Prozess sind wir, um am Ende in die richtige Richtung zu fahren“, hofft Ilzer in den Bewusstsein, „jede Veränderung bringt einen auch aus der Komfortzone.“ Das gilt für ihn ebenso wie für den im Umbruch befindlichen Klub. Die Überfahrt könnte in ruhigere Gewässer führen oder in einer sündhaft teuren Havarie enden.

 

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