Inbegriff deutscher Tugenden: „El Aleman“ Stielike wird 70

In Gladbach wurde Uli Stielike groß, in Madrid zur Legende. Der Mann der klaren Worte feiert an diesem Freitag 70. Geburtstag.

Reals Legende ist keiner für den diplomatischen Dienst

Das Düsseldorfer Rheinstadion ist voll bis unters Dach am Abend des 20. April 1977. Rund 70.000 Zuschauer, es herrscht Hexenkessel-Atmosphäre beim Halbfinal-Rückspiel im Landesmeister-Cup zwischen Borussia Mönchengladbach und Dynamo Kiew. Auf der vollbesetzten Tribüne haben auch zwei Verantwortliche von Real Madrid Platz genommen und verfolgen mit großem Interesse, wie die Fohlenelf das 0:1 aus dem Hinspiel dreht und durch einen 2:0-Erfolg ins Finale gegen den FC Liverpool einzieht.

Ihr Augenmerk gilt aber noch mehr diesem jungen, zweikampfstarken Gladbacher, der das defensive Mittelfeld zu seinem Hoheitsgebiet macht. Nach fesselnden und für ihre Mission aufschlussreichen 90 Minuten steht für die Spanier fest: Dieser harte, aber genauso spielintelligente, dynamische und technisch beschlagene Bursche muss ein Königlicher werden, unbedingt. Das Objekt der Begierde heißt: Uli Stielike.

Der Erzählung nach soll zunächst Stielikes Mannschaftskollege Herbert „Hacki“ Wimmer ganz oben auf Reals Wunschliste stehen, um 1977 die Nachfolge von Paul Breitner anzutreten. Bis die Spanier Stielike live im Stadion spielen sehen und auf den Youngster mit dem auffälligen Schnauzbart umschwenken. Auf Stielike sind die Madrilenen aber offenbar schon weit vor dem Kiew-Spiel gestoßen. Erste Gerüchte um ein Real-Interesse kursieren in Gladbach bereits Wochen vorher.

Im kicker hat Stielike einmal erzählt, wie er bei Real gelandet ist. Günter Netzer, der ein Jahr zuvor von Real Madrid zum Grasshopper Club Zürich gewechselt war, habe ihn im April 1977 angerufen. „Er sagte: ‚Pass auf, Uli, es kommt jemand von Real und will dich beobachten.‘ Das war vor dem Europacupspiel gegen Dynamo Kiew. Am Morgen nach dem 2:0 sollte ich im Düsseldorfer Interconti-Hotel erscheinen.“

Real-Boss Bernabeu nahm Stielike selbst unter die Lupe

Wie verabredet findet sich Stielike am Treffpunkt ein. Und macht große Augen, als er registriert, wer ihn da am Abend zuvor unter die Lupe genommen hat. Der Real-Boss persönlich. Santiago Bernabeu. Zusammen mit Generalsekretär Agustin Dominguez. „Ich komme hin, und dann saß da Santiago Bernabeu in der Lobby. Der damals schon mythische Real-Präsident. Ich war völlig überrascht. Er sprach ein paar Brocken Deutsch, dann schickte er mich mit seinem Generalsekretär nach oben aufs Zimmer. Der hat ein Briefpapier vom Hotel aus dem Schreibtisch geholt und gesagt: ‚So, Herr Stielike, wir sind interessiert. Was stellen Sie sich denn vor?‘ Darauf haben wir meinen Vertrag geschrieben.“

Stielike im Interview: „Heute wäre ich ein Weltstar“Altmodisch gut: Viele Dinge fallen dem Zeitgeist zum Opfer

Handschriftlich werden nur ein paar Eckdaten, vier oder fünf Punkte, festgehalten. Im berühmten Trophäenraum von Real wird der Deal später finalisiert. Stielike zieht die Sache allein durch, „ohne Agent oder Papa“. Und unterschreibt den offiziellen Vertrag, „mit genau dem gleichen Inhalt wie vorher auf dem Hotelformular.“

„Die Chance, für den Klub zu spielen, bei dem schon Legenden wie di Stefano, Puskas, Santamaria oder Gento aktiv waren, darf man sich nicht entgehen lassen.“ (Uli Stielike)

Stielike ist erst 22 Jahre alt, als er sich Richtung Spanien verabschiedet, und weiß selbst nicht so recht, was ihn bei Real erwartet. Er verdient in Madrid netto, was er vorher in Gladbach brutto bekommen hat, doch vor allem lockt ihn die Magie der Königlichen. „Die Chance, einmal für den Klub zu spielen, bei dem schon Legenden wie di Stefano, Puskas, Santamaria oder Gento aktiv waren, darf man sich nicht entgehen lassen.“

Eine Legende ist Stielike selbst, als er Real acht Jahre später verlässt. Dreimal spanischer Meister, zweimal Pokalsieger, UEFA-Pokal-Gewinner, Spaniens „Fußballer des Jahres 1981“ – nur mit dem Gewinn des Landesmeistercups will es nicht klappen. Wie 1977 mit Gladbach (1:3) verliert er 1981 auch mit Madrid das Endspiel. Wieder gegen Liverpool (0:1). „Diese beiden Finals hängen mir mehr nach als das verlorene WM-Endspiel 1982 (1:3 gegen Italien)“, gesteht Stielike später einmal.

Kein Netzer kommt an den herausragenden Status Stielikes bei den Königlichen heran und genießt eine solche Wertschätzung, kein Breitner, kein Bernd Schuster oder einer der vielen anderen deutschen Legionäre im Laufe der Zeit. „El Aleman“, der Deutsche, wird in Spanien Ende der 70er zum Inbegriff deutscher Tugenden: Einsatz, Ausdauer, Disziplin, Zweikampfhärte, unerschütterlicher Siegeswille.

Erst Toni Kroos wird es Jahrzehnte später vorbehalten sein, eine noch größere Epoche bei Real zu prägen, als es Stielike getan hat, der im Rückblick sagt: „Real, das war eigentlich der Fußball-Himmel.“

Stielike lernt viel von seinen Mitspielern

Auch Stielike zählt zu den Entdeckungen von Hennes Weisweiler. Borussias Über-Trainer beobachtet den 18-jährigen Defensivspieler von der SpVgg Ketsch und lädt ihn umgehend nach Gladbach ein. Weil Uwe Seeler sein Idol ist, fühlt sich Stielike eigentlich dem Hamburger SV verbunden, absolviert dort auch ein Probetraining, doch am Ende entscheidet er sich für die Borussia. „Ausschlaggebend war die Tatsache, zu sehen, wie viele junge Spieler dort in der ersten Mannschaft Fuß fassten, aber auch, wie intensiv man sich um mich bemühte. Hennes Weisweiler kam sogar nach Ketsch, um mich bei einem Amateurspiel in Augenschein zu nehmen“, so Stielike.

Er trifft mit Gladbach die richtige Wahl. Die Entwicklung hin zu einem Weltklasse- Libero und Weltklasse-Mittelfeldspieler nimmt ihren Lauf. „Was ich damals nicht wusste, war, dass ich außer Weisweiler noch etliche ‚Trainer‘ täglich auf dem Platz hatte: Vogts gab mir Anweisungen im Defensivverhalten, Netzer erklärte mir das Spiel im Mittelfeld und Heynckes korrigierte mich in der Offensive. Jeden Tag die volle Ladung Information.“

„An mir wurde ein Exempel statuiert. Ich wurde wie ein Fahnenflüchtiger behandelt.“ (Uli Stielike)

Für die Summe von 1,8 Millionen Mark wechselt Stielike nach Spanien. Nach fünf großen Titeln mit der Borussia in nur vier Jahren. Aber der Fußball ist zur damaligen Zeit ein anderer. Im Gegensatz zu heute sind Transfers ins Ausland wegen der Ausländerbeschränkung selten. Und der DFB, der die Bundesliga für heilig hält und deren Qualität über alles stellt, baut vor dem Wechsel mächtig Druck auf Stielike auf. DFB-Präsident Hermann Neuberger und Bundestrainer Helmut Schön drohen der deutschen Zukunftshoffnung, die nach dem Länderspieldebüt 1975 schon als Kronprinz Franz Beckenbauers gefeiert wurde, mit der Nichtberücksichtigung für die Nationalmannschaft.

Den gradlinigen Stielike hält das nicht vom Sprung nach Spanien ab – und er wird tatsächlich nicht für die WM 1978 in Argentinien berücksichtigt. „An mir wurde ein Exempel statuiert. Ich wurde wie ein Fahnenflüchtiger behandelt“, erzählt Stielike später. Das WM-Fiasko in Argentinien sorgt jedoch schnell für ein Umdenken im Verband. Stielike kehrt in die Nationalelf zurück und wird 1980 Europameister.

Stielike: Ehrliche Arbeit auf dem Platz und ehrliche Worte abseits des Feldes

Aus Stielikes Nationalmannschaftskarriere bleibt aber auch ein anderes denkwürdiges Ereignis in Erinnerung: das spektakuläre WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich, die bewegenden Szenen von seinem Fehlschuss im Elfmeter-Thriller, wie er zusammengekauert auf dem Boden kniet, von niemandem zu trösten, auch nicht von Torhüter Toni Schumacher, der ihm Mut zuspricht und den nächsten Elfer direkt hält. Die legendäre Nacht von Sevilla, in der Deutschland im Elfmeterschießen 5:4 gewinnt.

Ehrliche Arbeit auf dem Platz und ehrliche Worte abseits des Rasenvierecks – auf beides kann man sich verlassen beim stets aufrechten und konsequenten Stielike. Immer geradeaus heißt es bei dem Mann, der als scharfzüngiger Kritiker in Kauf nimmt anzuecken, wenn er Missstände und Fehlentwicklungen anprangert, und der Fußball-Deutschland 1998 geradezu in Panik versetzt mit seinem großkarierten „Sakko des Grauens“

Stielike ist vielleicht keiner für den diplomatischen Dienst – aber einer, dessen Meinung sich definitiv anzuhören lohnt. „Mit 70 will ich kein Trainer mehr sein“, hat Stielike vor Jahren im Gespräch mit dem kicker angekündigt und das Vorhaben in die Tat umgesetzt. Aber er wird, davon lässt sich fest ausgehen, ganz sicher auch in Zukunft noch einiges zu sagen haben.

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